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Es bietet sich geradezu an, Paul Feyerabends wissenschaftstheoretischen Anarchismus [1] auf den Methodenstreit in der Mantrailing-Szene zu übertragen. Feyerabends Postulat, dass Fortschritt in der Wissenschaft in vieler Hinsicht nur dadurch möglich gewesen sei, dass Intuition und Kreativität dem Erkenntnisgewinn vorangegangen wären, und seine Forderung nach "Anti-Regeln" kommen der Sache Mantrailing per se entgegen.
Und doch hat sich innerhalb verschiedenen Schulen seltsamerweise ein gewisser Dogmatismus breitgemacht, Glaubensgemeinschaften haben sich gebildet, die für sich gegen den Rest der Welt orthodoxe Regeln hinsichtlich einer Materie aufstellen, für die noch kein wissenschaftliches Regelwerk gefunden wurde. Da beißt sich die Katze in den Schwanz. Da kommt - intuitiv - der Gedanke hoch, es könnte sich dabei um das Verschleiern der Tatsache handeln, dass die heftig verteidigte einzig "wahre Methode" sich mit einem massiven Mangel an Beweisen konfrontiert sieht.
Die Zugänge zur "Wahrheit" - in unserem Fall: zur einzig wahren Methode - können wir nicht empirisch messen und beurteilen, allein schon deshalb, weil diese Zugänge häufig nicht zusammenpassen und die Vertreter der einzelnen Schulen sich mit Leibeskräften dagegen wehren, Gemeinsamkeiten zu finden. Immerhin definieren sich auch Religionen durch Unterschiede und nicht durch allgemeingültige ethische Werte.
Und so führt die Fähigkeit, einmal zweifelnd um die Ecke zu denken, nicht selten zum Ausschluss aus der Glaubensgemeinschaft. So kommt es aber auch, dass man um die Wissenschaft, die übertragbare Kritierien für das Wie und Was am Trail finden könnte, einen großen Bogen macht, denn es könnte vorkommen, dass das, was man beobachtet und aus dem man seine Theorie abgeleitet hat, nur ein Teil der "Wahrheit" ist, oder schlimmer noch - dieser sogar widerspricht. Das wäre geradezu Häresie.
Die Lösung, die Feyerabend dafür anbietet, ist denkbar einfach. Regentänze seien genauso gut wie Wettervorhersagen, schreibt er. Was wir für einen Erkenntnisfortschritt in Sachen Mantrailing brauchen, ist schlichter Pluralismus. Wir sollten uns von "richtig" und "falsch" verabschieden, die Augen offen halten und ruhig auch einmal auf Intuition und Kreativität zurückgreifen und unsere auf dieser Basis erwachsenden Beobachtungen der Wissenschaft zur Verfügung stellen. Wie die Forschung selbst ist die Ausbildung eines Suchteams ein dynamischer Prozess, der sich mit jeder neuen Erkenntnis verändern und eine andere Richtung nehmen kann und nicht durch ein erstarrtes Regelwerk in die Irre geführt oder behindert werden soll.
Schön ist, was gefällt. Richtig ist, was funktioniert. Was funktioniert, ist schön. Anything goes. (E.S.)
ür viele, die mit ihrem Hund die Ausbildung zum Mantrailer ins Auge fassen, ist das Erreichen der „Einsatztauglichkeit“ das höchste Ziel. Doch welche Relevanz haben Trailer – statistisch gesehen – wirklich im „Ernstfall“?
Allein in Deutschland wurden im Jahre 2009 12 Millionen Rettungseinsätze von Notärzten und Rettungsdiensten gefahren von welchen sich 46% als ernste Einsätze herausstellten, also solche, in denen es wirklich um Leben und Tod ging[1]. Hochgerechnet auf den deutschsprachigen Bereich, also inkl. Schweiz und Österreich, dürften wir hier also auf 14,4 Millionen pro Jahr, somit also knapp 39.500 Einsätze pro Tag kommen, von welchen also ca. 18.700 Einsätze (die 46% ernsten Einsätze also) den Ruf des Notarztes und der Rettung gerechtfertigen. In Deutschland gelten pro Jahr ca. 5.000 bis 6.000 Menschen als vermisst, hochgerechnet auf den deutschsprachigen Raum also 6.000 bis 9.600, Vermisstenmeldungen gehen jährlich ca. 50.000 ein[2], hochgerechnet also etwa 60.000 inkl. Schweiz und Österreich. 80% der Vermisstenanzeigen sind keine Ernstfälle. Diese reduzieren sich wiederum auf „nur“ ca. 12.000 Personen pro Jahr, und davon bleibt die Hälfte verschwunden. Es steht die Zahl von 60.000 Vermissten der Zahl von 14,4 Millionen Rettungseinsätzen gegenüber, insgesamt im Jahr also 0,4% im Gesamten. Oder, vom Gesichtspunkt der tatsächlichen Ernsteinsätze aus, von 9.600 Vermissten gegenüber den 6.624.000 ernsten Rettungseinsätzen in Summe, was ca. 0,15 % ausmacht.
Rettungseinsätze Vermisstenmeldungen Anteilig
Deutschland p.a. 12.000.000 50.000 0,4%
D/A/CH p.a 14.400.000 60.000 0,4%
Ernste Einätze D/A/CH 6.624.000 9.600 0,15%
So viel soziales Engagement für eine verschwindend kleine Wahrscheinlichkeit, tatsächlich Menschenleben zu retten, ist zweifellos sehr löblich, aber eigentlich nicht sehr realistisch gedacht. Bedenkt man noch dazu, dass das Trailen in der Schweiz einigen wenigen staatlich anerkannten Organisationen und in Deutschland der Exekutive untersteht und man als Privat-Trailer gar keine Chance hat, in den Einsatz zu kommen, und dass in Österreich das Trailen noch so in den Kinderschuhen steckt, dass die Nachfrage gegen Null geht – dann stellt sich Frage, warum sich private Organisationen oder sozial engagierte freiwillige Helfer die Köpfe um Prüfungsordnungen einschlagen und heiße Konkurrenzkämpfe ausfechten. Und nehmen wir noch die Un-Wahrscheinlichkeit hinzu, mit der ein Mantrailer-Team in der verschwindend kleinen Anzahl der Einsätze eine vermisste Person tatsächlich findet, dann stellt sich die Frage, warum nicht mehr an der Funktionalität des Trailens selbst gearbeitet wird anstatt am Austüfteln von unterschiedlichsten Einsatzprüfungen, die bereits im Nachbardorf nichts mehr wert sind, weil sie dort niemand anerkennt.(R.B.)
Dieser Artikel von mir ist auch bereits auf der Website von Mantrailing Europe erschienen, wenngleich er dort auch in abgewandelter Form zu lesen ist. Den Facebook-Kommentaren bezüglich dieses Artikels konnte ich allerdings entnehmen, dass er vielfach falsch verstanden wurde. Um allfälligen Missverständnissen vorzubeugen: Ich habe großen Respekt vor all denjenigen, welche sich der Rettungsarbeit widmen und dieser ihre Freizeit opfern und ihr Engagement entgegenbringen. Was ich hier anprangere, ist das Vorgehen unterschiedlichster Institutionen, mit aller Gewalt auf Kundenfang zu gehen, indem den zukünftigen Kunden weisgemacht wird, sie könnten durch genau diese angebotene Ausbildung zusammen mit ihrem Hund automatisch Dienst an der Menschheit leisten. Guten Willens und guten Glaubens werden hunderte von Personen in eine Maschinerie hineingezogen, die sich hinter vorgehaltener Hand sehr wohl bewusst ist, dass diese geworbenen Kunden niemals eine Chance haben werden, in den Einsatz zu gelangen.